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Lernprozess: Wie das kindliche Immunsystem erwachsen wird

Dr. med. Christian Niesytto, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin am AMEOS Hanse Klinikum Anklam, klärt zum Thema auf.

Das Immunsystem des Menschen unterliegt ständig äußeren und inneren Einflüssen.Erst ab dem 5. Lebensjahr ist es ungefähr vergleichbar mit dem eines Erwachsenen. „Lassen Sie es uns es mit der Schule vergleichen“, sagt Dr. med. Christian Niesytto, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin am AMEOS Hanse Klinikum Anklam. „Schon als Ungeborenes beginnt das Training: Das angeborene Immunsystem wird angelegt. Hier werden die Voraussetzungen geschaffen, also das Handwerkzeug zur Verfügung gestellt, vergleichbar mit dem Erlernen von Sitzen, Gehen, Laufen, Sprache, Fingerfertigkeit und der Ausbildung einzigartiger Werkzeuge, die später noch verfeinert werden müssen“, erklärt der Chefarzt. 

Das Neugeborene hat ein schlechtes Abwehrsystem, es muss noch lernen. Die Mutter schützt es, indem sie das Baby nicht mit Menschenmassen in Kontakt bringt und es eher im behüteten Heim lässt. „Vor Geburt und mit der Muttermilch bekommt das Kind die ersten Abwehrstoffe exklusiv von der Mutter. Sie werden dem Kind von der Mutter ´geliehen´“, so der Mediziner. Erst mit dem Ablauf des ersten Lebensjahres würden diese verschwinden. Das Baby lerne sitzen, greifen und brabbeln – das Abwehrsystem müsse nun üben, eigene und nützliche Abwehrstoffe zu produzieren. „Die Abwehr-Schule fängt an. Eine Neuerung gibt es seit Kurzem – den RSV-Impfstoff. RSV befällt die kindlichen Atemwege, selten verursacht es lebensbedrohliche Lungenentzündungen. Bevor es aus dem Krankenhaus nach Hause geht, werden dem Baby Immunstoffe gegen eine RSV Infektion gegeben“, erläutert Christian Niesytto.

Das erworbene Immunsystem – die Vorschulzeit des Immunsystems 

„Nach dem zweiten Lebensmonat geht es schon los. Das Baby wird geimpft – und zwar gegen Tetanus, Kinderlähmung, Hirnhautentzündung, Leberentzündung, Keuchhusten und Diphterie. Krankheiten, die unsere Großeltern noch kennen, die aber Dank der Impfungen selten geworden sind“, erklärt der Chefarzt. „Zum Ende des ersten Lebensjahres geht es weiter: Ziegenpeter, Windpocken, Röteln und Masern. Krankheiten, die schwerste gesundheitliche Folgen haben könnten. Das Immunsystem des Babys hat jetzt das Handwerkzeug und wird trainiert, sich gegen Infektionen durchzusetzen.“ Nicht für jede Infektion gäbe es allerdings eine Impfung. Nach dem ersten Lebensjahr werde gespielt und neben sozialen Kontakten gäbe es dauernd infektiöse Kontakte. Das Kind wird „ständig“ krank. Erkältungen, Magen-Darm-Infekte oder Hautinfekte. Manchmal müsse das Kind sogar ins Krankenhaus, meist allerdings nur kurz. 

„In den Jahren bis zur Schule wird das Immunsystem trainiert, das Kind erkrankt meist nur milde. Wenn eine Krankheit vergessen wurde, ist jetzt die Zeit sie nachzuholen. Selten haben Kinder keinen Schutz gegen z. B. das Pfeiffersche Drüsenfieber erworben. Als Teenager wird dann geküsst, die auslösenden Viren werden übertragen. Das Immunsystem muss wieder ran, es besiegt die Krankheit und baut dann einen langfristigen Schutz auf“, erklärt Christian Niesytto. Altersentsprechend heißt es nun  „Knutsch-Krankheit“, so der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin.  

Da die Impfungen oft keinen lebenslangen Schutz bieten würden, müssten sie aufgefrischt werden. Aber keine Sorge, der Kinderarzt hat einen Plan. 

„Die Impflinge brauchen nicht alle einen Schutz. Warum soll ein Mann eine Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs bekommen? Ganz einfach, wenn er geschützt wird, kann er die Viren nicht übertragen. Er schützt so seine Partnerin, die vielleicht keinen ausreichenden Schutz hat. Ich finde die Idee sehr clever, durch eine Impfung, auch des Partners, eine schwerwiegende Krankheit zu vermeiden“, sagt der Mediziner. Selten habe ein Mensch ein krankes Immunsystem oder muss Medikamente einnehmen, die eine Impfung unverträglich machen. 

Manchmal attackiere das Immunsystem nicht nur Feinde, sondern auch Freunde. Das System schütze nicht nur vor Krankheiten, es könne auch krank machen. Dazu würden  z. B. ein insulinpflichtiger Diabetes (auch schon bei Babys), eine Schilddrüsenkrankheit oder eine Darmentzündung zählen.

„Jeder Mensch hat ein individuelles Immunsystem. Manche Menschen werden ganz schnell gesund, andere brauchen mehr Zeit. Je nach Werkzeug, Ausbildung und Talent. Das System kann auch krank oder eine Transplantation schwierig machen“, erläutert der Chefarzt. 

Spannend findet Christian Niesytto den Blick in die Zukunft: „Kann das Immunsystem so gesteuert werden, dass auch andere Krankheiten gezielt beeinflusst werden? Gibt es bald Impfungen gegen Infektionskrankheiten, die auf anderen Kontinenten wüten? Ich erwarte diesbezüglich eine spannende Zukunft“, so der Facharzt.

Dr. med. Christian Niesytto, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin am AMEOS Hanse Klinikum Anklam

Text: PM / HM          Fotos: Adobe Stock, AMEOS

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