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Die Angst vor Stürzen im Alter

Wenn Kinder hinfallen, ist das nicht schön, gehört aber zum Heranwachsen dazu. Vergießt so mancher Knirps auch mal dicke Kullertränen, die zumeist eher auf den Schock als auf eine ernsthafte Verletzung zurückzuführen sind, richten Kinder gewöhnlich  ihr Krönchen und stehen schnell wieder auf den eigenen Füßen. Nicht jedoch im Alter, sagt Dr. Juliane Brunk, Fachärztin für Innere Medizin und Geriatrie.

Sie leitet als Oberärztin die geriatrische Station des Ueckermünder AMEOS Klinikums und weiß genau, ein Sturz ist für ältere Menschen ein großes und ein häufiges Problem. Das belegt die Fachärztin mit Zahlen: „Studien verzeichnen pro Jahr einen Sturz bei 30 Prozent der über 65-Jährigen. Bei den über 80-Jährigen stürzen sogar 50 Prozent einmal im Jahr.“ Wobei Stürze in Krankenhäusern und Pflegeheimen nicht einmal mitgezählt sind. 

Beachtliche Zahlen, die das Stürzen zu einem wichtigen Thema in der Altersmedizin machen. Denn bei über 50 Prozent der gefallenen Frauen und Männer kommt es zu Folgeschäden. Dazu gehören Blessuren wie Blutergüsse, aber auch ernsthafte Verletzungen, zu denen beispielsweise der Oberschenkelhalsbruch oder andere Knochenbrüche zählen. 

In der Folge erfahren die Betroffenen eine zunehmende Abhängigkeit. Sie sind plötzlich auf Hilfe angewiesen. Sie können erst einmal nicht laufen, sich nicht allein waschen oder selbstständig einkaufen, um nur einige Beispiele zu nennen. „Manche Patienten ziehen sich aufgrund ihrer Unbeweglichkeit zurück, vereinsamen und können dadurch sogar in eine Depression kommen“, erklärt die Geriaterin.  

Wenn Senioren stürzen, hat das noch andere Folgen: „Den Menschen wird schlichtweg der Boden unter den Füßen weggezogen“, beschreibt Juliane Brunk das Gefühl vieler Patienten. Dann bleibt oft auch noch lange nach dem Sturz die Angst, dass es wieder passieren kann. 

In der Regel ist die erhöhte Sturzneigung unter anderem darauf zurückzuführen, dass im Alter die Muskelkraft stark nachlässt oder altersbedingt abgebaut wird. Zudem ist die Reaktionsfähigkeit vermindert  oder es treten Konzentrations- beziehungsweise  Gleichgewichtsstörungen auf. Alles Faktoren, die das Risiko zu stürzen, erhöhen, sagt Dr. Brunk. Das zeigt ein typisches Beispiel aus dem Alltag: Wenn beim Spaziergang ältere Menschen stehen bleiben, um miteinander zu reden, und beim Weitergehen wieder schweigen, kann das auf solch eine kognitive Störung hinweisen. „Gleichzeitig gehen und reden, ist anscheinend nicht mehr möglich“, erklärt die erfahrene Geriaterin, die solche Beobachtungen auch im Stationsalltag bei ihren Patienten macht. 

Um sich ein vollständiges Bild vom Alterungsprozess  der Patienten zu machen, erfolgt auf der geriatrischen Station immer eine umfangreiche medizinische Diagnostik. So werden die Funktionen unter anderem von Herz, Nerven oder Augen untersucht, um die Hauptursache auch für eine Sturzneigung zu finden. 

So lasse sich beispielsweise an einer muskulären Beinschwäche oder an Gleichgewichtsstörungen aktiv arbeiten, erklärt die Medizinerin. Ihr Team verfolge dabei einen ganzheitlichen Therapieansatz. Ärzte, Pflegepersonal, Physio- und Ergotherapeuten, Ernährungsexperten, Psychologen sowie der soziale Dienst arbeiten dabei je nach den Bedürfnissen des Patienten Hand in Hand. 

Es sei sehr wichtig, schätzt die Ärztin ein, die Sturzproblematik vorbeugend mit den Senioren anzugehen. In der Klinik können die Patienten und möglichst auch die Angehörigen während des Aufenthaltes informiert werden. In der Häuslichkeit könnten dahingehend auch Selbsthilfegruppen oder soziale Dienste unterstützen. 

So sei eine Wohnungsbegehung sinnvoll, um eventuelle Stolperfallen wie Kabel oder Teppichkanten zu beseitigen. Zudem sollten alltägliche Dinge für die Sturzgefährdeten in ihren eigenen vier Wänden gut erreichbar sein. Schränke, Kommoden oder Ähnliches sollten nicht dafür sorgen, dass ein Slalomlauf  durch die Wohnung nötig ist. Des Weiteren können Handläufe helfen. Die Betroffenen sollten zudem  Hilfsmittel wie einen Rollator zur Stabilisierung nutzen. Der richtige Umgang damit müsse allerdings trainiert werden, so die Empfehlung der Ärztin. So seien geschlossene Schuhe jeder Art Pantoffeln vorzuziehen, um Stürzen vorzubeugen. Der Weg zur Toilette in der Nacht muss ausreichend beleuchtet sein. Bei inkontinenten Patientinnen wäre ein Toilettenstuhl am Bett sehr nützlich,  gibt die Ärztin einige hilfreiche Tipps. 

Über den stationären Aufenthalt hinaus gäbe es verschiedene ambulante Therapien,  die die Muskeln, aber auch die kognitiven Fähigkeiten und die Psyche der Senioren stärken, damit sie wieder stabil und selbstständig im Alltag zurechtkommen. 

Text: Von Uta Bilaczewski /Foto: storyblocks

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